Viele Schüler eines Physik-Leistungskurses können über die Schönheit der Anwendung von Operatoren auf die mehrdimensionalen Quantenräume debattieren, sind aber nicht in der Lage, den Zinseszinseffekt zu erklären. Dieser Begriff aus dem Schatzkästlein zusammengesetzter Substantive ist jedoch so elementar wichtig, dass er jedem Grundschüler in diesem Land erklärt werden sollte. Wir werden dieses Thema jetzt so lange breittreten, bis jeder die Bedeutung des Zinseszinseffekts im Schlaf erklären kann. Im Folgenden unternehmen wir deshalb eine kleine Exkursion in die Welt der Zahlen und schauen uns einige einfache Beispiele für Kapitalwachstum an. Ein einfacher SparplanFelicitas beschließt jeden Monat 100 Euro von ihrem Einkommen zur Seite zu schaffen und sie am Aktienmarkt anzulegen. (Keine Panik! Wie das geht und wie die durchschnittlichen Erträge dieser Form der Geldanlage sind, werden wir in den nächsten Schritten ausführlich besprechen.) In ihrem 30. Lebensjahr heiratet sie, entschließt sich, Kinder zu bekommen und hört auf zu arbeiten. Gleichzeitig beendet sie ihren Sparplan und lässt das bisher angesparte Kapital weiter wachsen. Ihr gleichaltriger Ehemann Ferdinand, der in seinen Zwanzigern sein Geld für Pommes, Sekt und Wilde Partys verschwendet hat, beginnt zum selben Zeitpunkt, 100 Euro in einen gleichartigen Sparplan einzuzahlen. Das tut er, bis er 60 Jahre alt geworden ist. Die Ergebnisse der Bemühungen unseres Paares sehen so aus: Felicitas Ferdinand 100 Euro/Monat 100 Euro/Monat im Alter 20-30 im Alter 30-60 Alter: 20 0.000 0.000 Alter: 30 24.900 0.000 Alter: 40 91.400 24.900 Alter: 50 339.400 117.000 Alter: 60 1.260.000 460.000Sieh mal einer an! Obwohl Felicitas in den letzen 30 Jahren keinen Pfennig mehr eingezahlt hat, steht sie immer noch viel besser da als Ferdinand, der die ganze Zeit brav jeden Monat einen Hunderter dazu gelegt hat. Würde er weiterhin sparen, müsste die Medizin in nächster Zeit gewaltige Fortschritte machen, wenn er sie noch zu Lebzeiten einholen wollte. Aus unserer Tabelle ergibt sich zwanglos die
Große Effekte kleiner Renditeunterschiede Für das nächste Beispiel haben wir die vier Mitglieder von Felicitas' Selbsterfahrungsgruppe eingeladen. Alle kennen die Wichtigkeit des regelmäßigen Sparens, sind sich aber nicht über den richtigen Weg einig. Nehmen wir an, sie erzielen Erträge von 5, 8, 10 und 12% pro Jahr und zahlen bis zum 60. Geburtstag jeweils 100 Euro pro Monat in ihren Sparplan. Was kommt dabei heraus? Nicole Iris Danuta Tugçe 5% 8% 10% 12% Nach 5 Jahren 6.430 6.900 7.240 7.590 Nach 10 Jahren 15.500 18.130 20.150 22.400 Nach 40 Jahren 149.000 324.000 560.000 980.000Ein Blick auf die letzte Zeile der Tabelle versetzt uns in Erstaunen. Von "Nicole 5%" bis "Tugçe 12%" verdoppelt sich das Ergebnis jeweils ungefähr. Aus dem Hintergrund erschallt wieder die Stimme unseres Experten. Er diktiert uns die
Worauf will unser Experte wohl hinaus? Was könnte uns diese Renditeunterschiede bescheren? Wir erinnern uns an seine hinterhältige Bemerkung aus der ersten "Schulstunde". Da dämmert's langsam. Na klar, er nimmt die Geldanlageexperten ins Visier, die wir gern die Weisen nennen: Für viele ihrer Produkte verlangen sie Kaufgebühren, so genante "Ausgabeaufschläge". Außerdem gönnen sie sich jährliche Verwaltungsgebühren von durchschnittlich 1%, die sie natürlich unserem Vermögen entnehmen. Auf diese Weise schmälern sie permanent die Rendite des ihnen von uns zur Verfügung gestellten Kapitals - in der Tat ein Kapitalschaden! O-Ton: "Schaut Euch dat ma janz jenau an und stellt Euch wieder janz dumm. Wat fällt Euch bei Renditeunterschieden von 2% auf?" Eine wirklich hinterhältige Frage! Einmalzahlungen Auch unser letztes Beispiel handelt von Felicitas' Freundinnen. Im Alter von 20 Jahren erbt jede von ihnen 50.000 Euro von einer großartigen, gut situierten, großzügigen, gebefreudigen Großtante (In Expertenkreisen spricht man von einer so genannten "5G-Erbschaft"). Dieses Geld legen sie zu den o.g. Zinssätzen an und entscheiden sich gegen weitere regelmäßige Zahlungen. Auch hier wieder ein Blick auf die Ergebnistabelle: Nicole Iris Danuta Tugçe 5% 8% 10% 12% Nach 5 Jahren 63.600 73.000 79.000 87.300 Nach 10 Jahren 81.000 107.200 128.700 153.800 Nach 40 Jahren 350.000 1.100.000 2.250.000 4.600.000Wieder sehen wir, dass kleine Unterschiede in der Rendite zu riesigen Unterschieden beim Endergebnis führen. Außerdem bekommen wir langsam ein Gefühl dafür, wie sich langfristiges Investieren auszahlen kann. Wie realistisch ist das alles? Viele der Weisen - so nennen wir gern die Finanzprofis - werden nun einwenden, dass die hier angegebenen Beispiele für Renditen überzogen oder nur mit ihrer Hilfe zu erzielen seien. Achtung: Renditen von bis zu 5% sind ohne Einsatz des Großhirns und ohne jeglichen Zeitaufwand durch den Kauf von Indexzertifikaten erzielbar. Renditen zwischen 5 und 8% sind für den Privatanleger mit einfachen Dividendenstrategien (Zeitaufwand: eine halbe Stunde pro Jahr) möglich. Extreme Renditen ab 8 % sind nur bei entsprechender Inflation erreichbar. Zu diesen Themen später mehr. Als zukünftige Investoren mit langem Atem ist hier Geduld gefragt... Mehr Merksätze Zum Schluss unserer kleinen Lektion über das Kapitalwachstum formulieren wir noch drei weitere Regeln. Die ersten Tabellen liefern uns die
Aus der dritten Tabelle ergibt sich die
Eine eigene Anmerkung ist uns die aus diesem Abschnitt gewonnene Erkenntnis über die Geduld wert. Jeder Geldanleger sollte sich in turbulenten Zeiten an sie erinnern.
Nachdem wir Euch in dieser Lektion hoffentlich gezeigt haben, dass Zahlen großen Spaß machen können, denken wir in der nächsten Lektion über Schulden und Zielsetzungen nach. Schritt 1: Einführung Schritt 2: Was bedeutet Geldanlage eigentlich? Schritt 3: Das Wunder des Zinseszinseffektes Schritt 4: Ziele setzen und runter mit den Schulden Schritt 5: Die Legende vom Lottogewinn Schritt 6: Kleinanleger an die Börse! Schritt 7: Vom Umgang mit dem Risiko Schritt 8: Wie die Weisen unser Geld verwalten Schritt 9: Besser als die Weisen Schritt 10: Zusammenfassung |